Donnerstag, 7. Januar 2010

Kommentare???

Lieber Leser!

Vielleicht ist Dir schon aufgefallen, dass man die Texte nicht mehr kommentieren kann. Das liegt daran, dass in den letzten Monaten die Kommentiermöglichkeit stets missbraucht wurde. Es wurden URL's eingestellt, die auf Werbeseiten mit teilweise anstößigem Inhalt verwiesen.

Anton hat zur Zeit aber keinen Zugriff zum Internet. Er kann also weder moderieren noch rechtzeitig löschen. Wer ihm aber eine Email schreiben will, der ist herzlich willkommen: anton.stoetter@web.de

Gruß
Winfried

Donnerstag, 3. Mai 2007

Brigittes Bar

Brigittes Bar ist im lebendigsten Teil der Stadt. Obwohl Günter Esenwein weit entfernt von Berlin in einem kleinen Ort bei Ulm wohnt, kommt er häufig in diese Stadt. Esenwein, der Schlosser, genießt es, in netter Gesellschaft zu reisen und läßt es nicht darauf ankommen, dass ein Anhalter auf ihn wartet. Er wendet sich an die Mitfahrzentrale, um einen Reisegefährten zugewiesen zu bekommen. Es ist gut, dass sich der Mitfahrer an den Benzinkosten beteiligen muss. Denn Benzin ist sehr teuer geworden. Esenwein gehört nicht gerade zu den Reichen. Die Leute, die er bei den Reisen kennenlernt, sind fast alle so nett, wie er es sich von den Kollegen, mit denen er als Schlosser zu tun hat, gewünscht hätte. Bei seinen Arbeitskollegen dreht sich alles um die Arbeit und ums Geldverdienen. Aber für Esenwein ist es nur von Bedeutung, geliebt zu werden. Wenn er merkt, dass jemand nicht so feinfühlig ist, wie er es sich wünscht, kann er mit ihm nichts anfangen. Er wünscht sich freundliche Menschen. Aber meistens ist nur derjenige, der etwas von ihm erwartet, so freundlich, wie es Esenwein braucht. Er merkt, dass die Freundlichkeit, die er hier empfängt, nichts mit Liebe zu tun hat.

Esenwein ist Gitti nicht gleichgültig. Sie weiß, dass er, wenn er in Berlin ist, immer zu ihr in die kleine Bar kommt. Sie weiß, dass er Schlosser ist. Sie merkt, dass er ziemlich schüchtern ist. Nein, er ist ihr nicht gleichgültig, gewiss nicht. Irgendwie mag sie ihn gerne. Vielleicht ist sie selbst der Grund, weshalb er so oft nach Berlin fährt.

Eigentlich war Esenwein nicht gerne Schlosser. Das Mönchsleben hatte für ihn etwas Anziehenderes als sein Beruf. Esenwein hätte es nicht gestört, dass er als Mönch hätte arm sein müssen. Was ihn anzog, war die Gemeinschaft, die ihm ein Klosterleben geboten hätte. Er hatte große Angst davor, einsam zu sein. Aber er brachte ein Leben als Mönch irgendwie mit Schwulsein in Verbindung. Und er wollte sich nicht zu den Schwulen zählen. Brigitte sagte, dass sie nicht darüber nachdenke, ob einer schwul sei oder nicht. Wenn Esenwein schwul gewesen wäre, hätte sie ihn auf ihre Art trotzdem gemocht. Sie sagte: „Es gibt Männer, die eigentlich einen Hund suchen, aber in ein Katzengeschäft gehen."

Ein Stammgast, der Alfred, mischte sich in das Gespräch ein, indem er sagte: "Ich habe vor einiger Zeit noch gehofft, dass ich unter Menschen, die so veranlagt sind, eine Heimat finden würde. Aber jetzt habe ich meine Heimat in dieser Bar gefunden. Ich habe in der Zeit, in der ich deine Bar besuche, manches von dir, Brigitte, gelernt. Gott weiß, warum er mich gerade so geschaffen hat. Und so ist es gut. Wir sind alle so wie Gott uns gewollt und wie das Leben uns geformt hat. Obwohl ich meine Eltern liebe, ihre moralischen Wertvorstellungen übernehme ich nicht mehr. Denn sie sind in meinen Augen kleinlich und engstirnig. Ich passe halt nicht so richtig in meine Familie. Ich muss meinen eigenen Weg finden. Das ist für mich nicht gerade leicht!"

Alles Schwere im Leben sind Kreuze, die der Mensch zu tragen hat. Auch um zu reifen.

Esenwein empfindet es als nicht gut, dass er das meiste von dem Geld, das er sich als Schlosser mühevoll erarbeitet hatte, bei seinen Reisen nach Berlin für ein wenig Zuwendung ausgab. Er hatte eigentlich nicht viel von seinem Geld gehabt. Und sein Leben ist - so denkt er selbstmitleidig - irgendwie gescheitert. Aber es ist schon recht, dass Gott nicht etwa gesagt hat: "Für den armen Günther ist das Kreuz zu schwer. Ich kann es nicht auf seine schwachen Schultern legen." "Am Kreuz kann ich reifen, ich will es tragen", denkt Esenwein. Und scherzhaft sagte einer der Gäste: "Dein Kreuz ist, dass man dir als kleines Kind deinen Schnuller zu früh weggenommen hat."

"Ich weiß schon, was du bräuchtest", sagte Brigitte. "Ich denke, das du das, was du brauchst, bei Christen finden könntest." Mit Brigitte kann man über alles reden, sogar über Glaubensfragen. Darüber war Esenwein nicht wenig überrascht. Aber Brigittes Bar ist nun mal eine besondere Bar.

Montag, 30. April 2007

Gästebuch

Hallo Leute, dieses Blog besitzt kein separates Gästebuch. Es gibt nur die Möglichkeit, Antons Texte einzeln zu kommentieren. Wenn aber jemand allgemeine Bemerkungen zu diesem Blog als Ganzes machen will, dann kann er es hier tun. Für Lob und Tadel und für schlaue Bemerkungen ist also hier der Platz. Man muss nur unten das Wort "Kommentare" anklicken.

Kommentare

Hallo Leute, ich, Winfried, bin der technische Assistent von Anton. Aber ich bin bei weitem kein Computerspezialist. So ist es mir also noch nicht gelungen, jeden von Antons Texten mit einer Eingabemöglichkeit für Kommentare zu versehen. Wenn also jemand eine Geschichte kommentieren will und merkt, dass es nicht geht, so kann er hier seinen Kommentar abgeben. Er muss sich dann halt im Text auf die entsprechende Geschichte beziehen.

Nur Mut! Anton freut sich riesig über jede Reaktion ...

Übrigens: Anton ist ein Freund der einfachen Handhabung. Deshalb ist dieses Blog nicht nur aufrufbar über die URL "www.astoetter.blogspot.com", sondern auch durch Eingabe von "www.anton-erzählt.de" oder "www.anton-erzaehlt.de" (letztere URL funktoniert auch bei älteren Browsern).

Freitag, 27. April 2007

Der stille Genießer

Es ist kurz vor Weihnachten. „Jetzt wird dann gleich mein Gast, der Anton, kommen", denkt die Tilli in ihrem Café. Anton kommt seit einem Vierteljahr fast jeden Tag in das Café. Er genießt hier die Anonymität, denn er geht gerne etwas auf Distanz zu den Menschen. Anton trinkt meistens etwas alkoholfreies. Nur ab und zu trinkt er ein Glas Wein. Selten kommt es vor, dass er etwas zu viel von dem guten Frankenwein trinkt. Seit einer Woche sitzt Anton am Stammtisch.

Heute setzt sich Anton wieder an den Stammtisch, weil er denkt, dass Tilli dies von ihm erwartet. Er würde lieber an einem der hinteren Tische sitzen. Er hat für Tilli ein Weihnachtsgeschenk gekauft. Sie ist sehr feinfühlig und sie kann Anton gut leiden. Sie findet, er passt gut in ihr stilles Café. Eigentlich möchte sie nicht, dass Anton ihr etwas schenkt, weil sie weiß, dass er nicht viel Geld hat. Er sagt zu Tilli: „Ich bin ein stiller Genießer. Ich trinke gerne in deiner netten Gesellschaft ein gutes Glas Wein." Anton wollte schon gerne das Weihnachtsfest in netter Gesellschaft verbringen. Aber jetzt ist aus dem anonymen Gast, der er war, ein Vertrauter geworden. Jetzt wird ihm, der es gewohnt ist, auf Distanz zu gehen, die Vertrautheit unbehaglich und er findet seitdem nie mehr den Weg in Tillis Café.

Geleitwort

Ich habe meine Kurzgeschichten als gebundene Bücher herausgegeben. Für das Buch "Brigittes Bar" hat Frau Christel Kruse das folgende Vorwort geschrieben:

Anton Stötter macht mit seinen Kurzgeschichten Mut. Er will zeigen, wie er mit seinem Leben zurecht gekommen ist, das ihn in Kontakt mit der Psychiatrie führte.

Die autobiographischen Geschichten werfen ein Schlaglicht auf die Erlebniswelt eines intelligenten, sensiblen Jungen, der im konservativen Allgäu aufwächst, und auf verschlungenen Pfaden schließlich zu einer befriedigenden persönlichen Lebensform findet.

Ich kenne Anton Stötter seit vielen Jahren. In der Einsamkeit des Einzelgängers, allein gelassen mit seinen Ängsten und Zweifeln in einer Umgebung, die ihn nicht versteht, entwickelt sich allmählich eine schwere psychische Erkrankung. Über Jahre konnte ich miterleben, wie er allmählich lernt sich zu öffnen. Im Kontakt und Dialog mit seinen Mitmenschen entdeckt er seine individuellen Möglichkeiten, sich auszudrücken und mitzuteilen: Er beginnt zu malen und zu schreiben.

Seine Arbeiten finden eine beachtliche Resonanz und helfen ihm entscheidend bei der Suche nach der eigenen Identität. Diese Entwicklung ist nicht abgeschlossen – sie wird auch für ihn ein oft mühsamer Prozess sein.

Sein großes Thema, „wie Leben gelingen kann" durchzieht alle Geschichten; immer geht es dabei auch um Distanz und Nähe: Beides kann zu Angst, Einsamkeit und Unbehagen führen.
Einen großen Stellenwert nimmt in diesem Suchprozess das Thema Liebe ein, das er durchaus nicht nur im Sinne von Sex versteht, wie die Kurzgeschichten deutlich vermitteln. Er wünscht sie sich als Beweggrund im Umgang der Menschen miteinander, und setzt sich dafür ein, einander anzunehmen wie man (geschaffen worden) ist.

Getragen wird dieser Selbstfindungsprozess des Anton Stötter jedoch von einer religiösen Suche.

Als sehr ernsthaftes Kind, leidet er unter notorischen Ängsten. Trotz der dabei ausgelösten Glaubenszweifel, findet er schließlich doch den Weg zu Gott. Der Wunsch, aus dem seelischen Elend seiner Psychose-Erkrankung und dem beruflichen „Scheitern" als Schlosser zu einem erfüllteren Leben zu finden, lässt ihn die Suche nach Gott nicht aufgeben.

Seine Kurzgeschichten können anderen Psychiatriepatienten Mut machen, angesichts einer wachsenden gesellschaftlichen Erwartung stromlinienförmigen Verhaltens, der sie nicht entsprechen können, mutig ihren eigenen Weg zu suchen auch außerhalb der ausgetretenen Pfade.

Christel Kruse

Dienstag, 24. April 2007

Indianer

Christian Kohlbaum entdeckt Amerika

Etwa vier Jahre, bevor Christoph Kolumbus Amerika entdeckte, lebte in einem Dorf unweit von Hamburg ein sehr sensibler Einzelgänger, ein älterer Herr, der Christian Kohlbaum hieß. Seine weitaus meiste Zeit verbrachte er, ohne dass er mit Menschen in Berührung kam, in einem kleinen muffigen Studierzimmer. Er erzählte niemandem, dass er eine große Erbschaft gemacht hatte und sich nun fast alles leisten konnte.

Bis jetzt hatte er wenig von dem Geld ausgegeben. Er sprach mit niemandem über seine Pläne. Auch nicht, als er in Hamburg ein hochseetüchtiges Schiff kaufte und damit begann, für sein geheimes Vorhaben Matrosen anzuheuern, denen er einen guten Sold zahlen wollte. Es waren zumeist Männer, die ihre Arbeit an Bord gut verrichteten aber nicht zimperlich miteinander umgingen. Kohlbaum dachte, dass bei manchem Seemann, den er angeheuert hatte, unter der rauen Schale vielleicht ein weicher Kern verborgen sein mochte. Kohlbaum zog sich soweit wie möglich in seine Kapitänskajüte zurück, in der er nicht gestört werden wollte. Aber weil er seinen christlichen Glauben sehr ernst nahm, gebot ihm sein Gewissen missionarisch zu wirken. Er wollte seinen Seeleuten Mut machen, den weichen Kern nicht unter der rauen Schale zu verstecken. Die Mannschaft hatte Achtung vor ihrem Kapitän, weil er Kapitän war. Aber als die Matrosen wieder unter sich waren, hatte sich an der Art, wie sie miteinander umgingen, nichts geändert.

Obwohl sie gewiss nicht reich waren, vielleicht auch gerade deshalb, war "Geld" ein Wort, das die Matrosen so aussprachen, wie ein guter Christ das Wort "Gott" aussprechen würde. Die meisten von ihnen gingen sehr sparsam, manche sogar geizig, mit ihrem karg bemessenen Sold um. An Bord gab es nur Tabak und Alkohol zu genießen. Aber für ein besonders nettes Erlebnis mit einem Mädchen im nächsten Hafen war ihnen das Geld nicht zu schade.

Paul Graf war nicht so wie die anderen Matrosen. Er sprach ein gepflegtes Deutsch. Und er hatte, als das Schiff beladen wurde, nichts als einen großen Koffer voller Bücher an Bord gebracht. Jede Stunde, die er sich freihalten konnte, verbrachte er mit Lesen. Aber er machte auch seine Arbeit recht. Der Kapitän, der sich vor den Matrosen verschloss, sie aber heimlich beobachtete, merkte, dass mit Paul ein hochsensibler Mensch auf seinem Schiff war, und er machte sich Gedanken, wie er es anstellen konnte, ihn als Freund zu gewinnen.

Drei Wochen waren sie nun schon auf dem Meer und der Kapitän hatte bisher nur das Nötigste gesprochen. Endlich bat er Paul Graf, ihm die Bücher, mit denen sich dieser so sehr beschäftigte, zu zeigen. Er sprach nicht viel mit Paul Graf, aber als er am Gehen war, wandte er sich noch mal um und sagte: "Ich suche den Seeweg nach Indien." Noch nie zuvor hatte Christian Kohlbaum sein Geheimnis preisgegeben. Er ging wieder in seine Kajüte, in der er so wie immer nicht gestört werden wollte. Er war in guter Stimmung. "Paul Graf ist mein Freund", dachte er.

Die Fahrt hatte schon sehr lange gedauert. Das Trinkwasser ging zur Neige und eine Rattenplage war ausgebrochen. Und das ganze Schiff war von Dämonen* verseucht. Paul Graf war der einzige, dem diese nichts anhaben konnten. Aber die übrigen Mitglieder der Mannschaft gingen immer gehässiger miteinander um. Manche hatten sogar Angst, dass bald die Pest ausbrechen würde. Die Fahrt schien kein Ende zu nehmen. Keiner aus der Crew war bisher so lange ohne Unterbrechung auf dem Meer gewesen.

Endlich! Der befreiende Ruf: "Land in Sicht!"

Nachdem alle an Land gegangen waren, merkte der Kapitän, dass es mit diesem Land eine besondere Bewandtnis hatte. Zuerst fiel ihm auf, dass die Tiere bei weitem nicht so scheu wie in der Heimat waren. Hier war es leicht ein Wild zu schießen, um es am Feuer zu braten. In der Nähe des Ufers entdeckte Paul Graf eine Quelle. Es war himmlisch, nach der langen Zeit der Entbehrungen wieder klares Wasser zu trinken. Und alle genossen sie das über dem offenen Feuer gebratene Rehfleisch.

Christian Kohlbaum wollte sich für längere Zeit von der Mannschaft entfernen, um das Landesinnere zu erkunden. Er wusste nicht, wie lange er wegbleiben würde. Aber es war schwer jemanden zu finden, der in der Zeit seiner Abwesenheit für Ordnung sorgen sollte. Schließlich fragte er Paul Graf, ob er sich das zutraute. Denn Graf war der einzige, dem er dieses Amt anvertrauen wollte. Aber Kohlbaum war sehr besorgt, weil er wusste, dass sein Freund dieser Aufgabe nicht gewachsen war. Um Graf zu stärken und der Mannschaft Respekt einzuflößen, überließ er ihm sein bestes Gewehr.

Schon am ersten Tag seines Erkundungsgangs traf er auf Menschen, die völlig anders waren als die Europäer. Weil er immer noch glaubte in Indien zu sein, nannte er sie Indianer. Diese Indianer waren viel gastfreundlicher als die Menschen seiner Heimat. Christian Kohlbaum, der nur selten jemanden an sich heranließ, spürte schnell, dass es ein Fehler wäre, sich von den Indianern abzusondern. Er dachte sogar: "Wenn ich nur auch ein Indianer wäre." Sie hatten ihm ein Zelt zugewiesen, wo er wohnen konnte, und das sehr liebevoll eingerichtet war. Jetzt begann er die Sprache und die Lebensweise dieser Menschen zu studieren. Gerne nahm er die Gelegenheit wahr, den Indianern auch von seiner Heimat zu erzählen. Ihm fiel auf, dass die Indianer sehr wertvollen Schmuck trugen. Eine Indianerin bemerkte sein Interesse an ihrem Schmuck. Und ohne zu zögern wollte ihm diese Frau, die ihm bisher noch nie aufgefallen war, ihren Schmuck schenken. Jeder andere Europäer hätte dieses Geschenk wohl freudig angenommen. Aber Kohlbaum wäre nicht er selbst gewesen, wenn er der Indianerin, die den Wert ihres Geschenkes gar nicht bemessen konnte, ihren Schmuck abgenommen hätte. Soviel Ehrgefühl hatte er sich von Kindheit an bewahrt. Er brachte der Frau freundlich bei, dass sie ihren Schmuck behalten solle. Aber im Innersten wusste er, dass sie etwas beleidigt war, weil er ihr Geschenk verschmähte.

Im Vergleich mit dem Land, in dem er jetzt war, schien Europa vom Geld wie von einem Dämon besessen zu sein. Selbst unter Christen spielt das Geld eine größere Rolle als gepflegte Sprache, Schönheit und Barmherzigkeit. Bei den Indianern gab es so etwas wie Geld nicht. Für andere Völker ist das Geld der Gott. Der Gott der Indianer aber war Schönheit und Ehre. Als Kohlbaum einem Indianer von der Eisenbahn** erzählte, konnte dieser nicht verstehen, dass, wer mit ihr fahren will, bezahlen muss. Die Eisenbahn müsste doch allen gemeinsam gehören. Und jeder sollte damit so weit fahren dürfen, wie er will. Bei den Indianern arbeitete jeder so schnell er wollte, niemand wurde gehetzt. Aber auch der Schwache, der gar nicht arbeiten konnte, wurde geachtet. Jeder hatte seine Würde.

In Kohlbaums Augen war die Kultur der Indianer etwas Heiliges und Schützenswertes. Die Indianer mussten unbedingt von dämonischen Einflüssen, die die Berührung mit den Europäern mit sich gebracht hätte, bewahrt werden. Kohlbaum dachte an das Unheil, das seine Matrosen den Indianern antun könnten. Und diese Sorge erwies sich als durchaus begründet.
Der 58-jährige Paul Graf war, als Kohlbaum ihn wieder traf, ein gebrochener Mensch. Denn er hatte es nicht geschafft, der groben Mannschaft Herr zu werden. Kohlbaum gelang es nicht, seinen Freund zu trösten. Innerlich zutiefst bewegt erzählte ihm Paul Graf, wie die Seemänner Indianerfrauen geschändet und vergewaltigt hatten, oft vor den Augen ihrer Kinder. Graf erzählte weinend, dass einige, die so geschändet wurden, noch Jungfrau waren. "Den Indianermännern wächst nicht einmal ein Bart, so unschuldig sind sie", sagte Paul Graf immer noch weinend.

Kohlbaum dachte bei sich: "Ich muss unbedingt das Unheil, das ich über dieses Volk gebracht habe, wieder ausmerzen. Durch mein Zutun ist das Dämonische in dieses Land gekommen. Ich muss mein Schiff durch Feuer vernichten, so dass niemand aus unserer Mannschaft nach Europa zurückkehren kann. Dass es die Indianer gibt, muss ein Geheimnis bleiben. Ich will über jedes Mitglied meiner Crew Gericht halten. Aber ich muss dabei bedenken, dass der jeweilige Angeklagte nicht nur durch eigenes Zutun Schuld auf sich geladen hat, sondern dass der Unglückliche das Opfer eines Dämons gewesen ist."

Leider konnte die blutige Unterdrückung der Indianer auf Dauer nicht verhindert werden. Denn vier Jahre später entdeckte auch Christoph Kolumbus Amerika ...


* Dämonen sind böse Geistwesen, deren Existenz aber heute umstritten ist.
** Der Autor bittet die Leser, den Anachronismus zu entschuldigen. Natürlich gab es zu jener Zeit noch keine Eisenbahnen in Europa.